In der Zeit 10/2016 wird auf S. 9 ein Gespräch mit der in Deutschland geborenen in Amerika beruflich aktiven Linguistin Elisabeth Wehling veröffentlicht. Schon Ende 2014 hat die Zeit zum selben Thema den Arikel Große Worte, subtiler Einfluss veröffentlicht. Wörter werden im Hirn gerahmt. Ein Beispiel im Artikel: Flüchtling. Elisabeth Wehling: „Die Endung »-ling« macht diese Menschen klein und wertet sie ab. Denn das Kleine steht im übertragenen Sinn oft für etwas Schlechtes, Minderwertiges.“ Das Hirn rahmt Wörter oder in die naheliegendsten Zusammenhänge des bisherigen gesamten (hirnphysiologisch gespeicherten) Erfahrungshorizonts.
Für mich spannend, dass das sehr gut harmoniert mit einem meiner favorisierten Soziologiefachbücher: Rahmenanalyse von Ervin Goffman. Seine Theorie wird durch die im Beitrag dargestellten Erkenntnisse noch nachvollziehbarer. Denn was das Hirn mit Wörtern macht („die naheliegendsten Zusammenhänge schaffen“), funktioniert beim sozialen Handeln laut Goffman ganz genauso.
Das bedeutet: kein Wort kann neutral verwendet werden wie auch kein soziales Verhalten ohne Rahmen für den Einzelnen Sinn ergibt oder der Einzelne ohne Rahmen sinnvoll auf das Handeln anderer (re-) agieren könnte.
Elisabeth Wehling stellt dar, dass in den USA (aber auch ganz bestimmt hier in Deutschland und überall auf der Welt) aktive Rahmung betrieben wird, d.h. Lobbyarbeit beginnt schon damit, die richtigen Wörter auf die politische Agenda zu setzen, um die richtige Stimmung beim Zielpublikum zu erzeugen. Elisabeth Wehling verdient ihr Geld in diesem Kontext.
Das heißt nicht, dass dies immer ein bewusster Vorgang hinsichtlich der linguistischen Bedeutung ist. Denn schon allein, wie sich politische Parteien sprachlich in Themen abgrenzen. Im Gespräch wird folgendes Beispiel verwendet: SPD sagt Mindestlohn, CDU sagt Lohnuntergrenze. Funktional grenzt man sich gegen die andere Partei ab, zugleich wird über die erforderliche Abgrenzung ein passender Begriff gesucht: daraus entsteht das optimierte Abholen der eigenen Klientel (SPD: Arbeiter, CDU: Unternehmer).
Das Bewusstmachen wie sprachliche Ausdrücke eingesetzt werden, um eine spezifische Rahmung zu erzeugen bzw. abzurufen, sollte im Kontext der medialen Erziehung eine Rolle spielen, da dadurch der bewusste und kritische Umgang mit Sprache gefördert wird. Sprache ist ein essenzieller Baustein, soziale Zusammenhänge zu konstruieren und manifestieren. Damit würde also auch zugleich das Bewusstsein gefördert, wie jeder Einzelne seine sozialen Handlungsrahmen aktiv über seine Sprache beeinflussen und entwickeln kann.
Im angesprochenen in der aktuellen Zeit veröffentlichten Gespräch zeigt Elisabeth Wehling eine medienpraktische Schlussfolgerung auf, die ich mitrage: „Es ist wichtig, dass auch Journalisten sich klarmachen, wer welche Frames [FH: englisch für Rahmen] benutzt und wie sie wirken. Denn man kann Framing für politische Propaganda missbrauchen. Aber man kann das Wissen darüber auch nutzen, um die Ideologie, die hinter Wörtern steckt, offenzulegen. Das wäre eine große Leistung. Die würde das Vertrauen in die Medien wieder stärken.“
Wie von mir beschrieben: ich sehe die Erziehung wie Sprache bedeutungs- und handlungsrahmend wirkt schon im (schulischen) medienerzieherischen Kontext. Dies wird sich nicht von heute auf morgen in den Lehrplänen niederschlagen (ich hoffe optimistisch: es wird sich niederschlagen). Insofern können Journalisten (und deren Ausbildungsstätten) schneller reagieren und Elisabeth Wehlings Ratschlag folgen.