In der Zeit 16/2016 vom 07. April 2016 auf S. 40 stellt Christoph Drösser in einem Artikel vor, dass es Bemühungen gibt, die Wirkung von Algorithmen öffentlich darzustellen. Was sie für den Nutzer entscheiden und herauszufinden warum bzw. nach welchen Kriterien. Umfassender stellt der Autor das Thema in seinem Buch Total berechenbar? Wenn Algorithmen für uns entscheiden dar.
Algorithmen spielen heutzutage sehr häufig eine entscheidende Rolle, sei es bei der Auswahl von Bewerbern den richtigen Kandidaten zu finden – und dabei sämtliche Gesetze zur Antidiskriminierung zu beachten, sei es um Preise zu bestimmen in Abhängigkeit der Position des Nutzers, die den Aufwand berücksichtigt, die Konkurrenz zu bevorzugen. Sei es den richtigen Lebenspartner zu finden oder das next big gadget.
Algorithmen sind black boxes, die Entscheidungen treffen. Für mich. Im Zweifel ohne dass ich eine Chance habe, diese „akute“ Entscheidung direkt und unmittelbar zu beeinflussen. Ich stelle mir dabei die Frage, wer diese Algorithmen programmiert und auf welcher Grundlage. Ich komme zum Schluss, dass ethisch-moralische, soziale oder gesellschaftliche Auswirkungen eher selten eine Rolle spielen. Hat der Programmierer denn bereits Erfahrungen oder die Ausbildung, um das Ausmaß des Algorithmus überhaupt oder auch nur ansatzweise nach den oben genannten Kriterien zu ermessen? Ist vielmehr sein Auftraggeber nicht in der Pflicht, diese Gedanken, Überlegungen und Auswirkungen anzustrengen und macht er das? Will der Auftraggeber dafür Zeit und Geld investieren? Ich glaube: ganz überwiegend können all diese Fragen mit nein beantwortet werden. Eher spielen das direkte meist materielle Interesse wie mehr Umsatz oder größerer Kundennutzen – um zwei Beispiele zu nennen – einzig eine Rolle.
Genau das verursacht mir ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Der Mensch kann Entscheidungen, die ihn selbst betreffen, nicht direkt beeinflussen. Er gerät in die vollkommene Abhängigkeit, Entscheidungen aufoktroyiert zu bekommen, die nach Interessen anderer gesteuert werden: das Unternehmen, welches seinen Umsatz mehren, den Kredit auch zurückbezahlt bekommen möchte.
Nicht das solche Interessen nicht legitim oder auch für den Nutzer nicht etwa „gut“ oder vorteilhaft sein könnten: Gesellschaftlich aber ist das der Rückfall ins Mittelalter, in dem der Fürst alleine entschied, was gut für seine Vasallen war.
Insofern ist die Digitalisierung der Welt regressiv, sie führt in eine Welt, die dem einzelnen die Entscheidung nimmt, frei über sein Leben zu entscheiden. Der digitale „Fürst Algorithmus“ ist Entscheidungsträger.
Wie Mittelalter üblich, wird es hoffähig werden, diesem Fürsten zu huldigen, ihn milde zu stimmen, ihn auszutricksen, um Vorteile zu erlangen. Dem Fürsten gegenüber unsichtbar machen wird man sich ganz im Gegensatz zu den mittelalterlichen Möglichkeiten nicht machen können. Seine digitalen Fänge sind umfassend.
Es wäre hilfreich, angehenden Programmierern einen philosophischen Grundkanon zu vermitteln. Vieles in der Welt wird algorithmisch gesteuert. Es wäre beruhigend zu wissen, dass die Menschen, die diese Entscheidungs-black-boxes konstruieren, sich, den Auftraggebern und der Welt die Frage stellen, welche – ja durchaus kapitalen – Auswirkungen eine algorithmische Entscheidung für das Leben eines Menschen haben kann. Möge der Fürst Algorithmus weise werden.
ich ziehe den Schluss, dass ich in der digitalen Welt – und die ganze Welt wird digital, das ist nicht aufzuhalten – lieber in einer als aufgeklärten Welt geltenden und nicht in einer im Mittelalter verhafteten leben möchte.
Dazu erscheint es notwendig, die digitale Freiheit des einzelnen einzufordern, diese zu erkämpfen, wie es einst Bauern, Vasallen, Abhängige, Studenten, Künstler, Freigeister im 18. und 19. Jahrhundert taten. Die Geschichte der letzten dreihundert Jahre zeigt einen langen und schmerzvollen Weg auf. Den es dennoch zu beschreiten gilt. Womöglich geht’s ja sogar schneller und weniger schmerzvoll, wenn sich denn Unternehmen und Politik der Grundwerte des selbstbestimmten Lebens gewahr werden und die einhergehenden Rechte und Regeln bestimmen. Optimistisch und blauäugig? Was wäre die Alternative? Ich kenne die dunkle Seite des Fürsten Algorithmus nicht. Ich sehe sie punktuell aufscheinen, ich vermute, ich fürchte.