Worum geht es? Binswanger beschreibt den Ausgangspunkt seines Buches „Sinnlose Wettbewerbe“ so:
„Die heutigen gesellschaftlichen Ideale kommen in abstrakten Begriffen wie „Effizienz“, „Exzellenz“, „Leistung“, „Markt“, „Wettbewerbsfähigkeit“, „Innovation“ oder „Wachstum“ zum Ausdruck und in unzähligen Wettbewerben versuchen wir uns gegenseitig mit diesen Idealen zum übertrumpfen.“ (S.14)
Im Installieren eines Wettbewerbs wird eine Effizienzsteigerung gesehen, ganz gleich, ob die vielen künstlichen Wettbewerbe, d.h. Wettbewerbe ohne echten Markt, inhaltlich zu einer optimalen Produktion oder auch optimalen Anpassung auf die Nachfrage führt. Im Sport dominieren Wettkämpfe, in denen es darum geht, besser zu sein als der Mitwettbewerber. Das gilt ebenso für die künstlich inszenierten Wettbewerbe ohne Markt. Die Teilnehmer fokussieren auf den Sieg und nicht die (absolute) Leistung.
„Ziel eines Professors ist es dann nicht mehr, eine bestimmte publizistische Leistung zu erbringen, sondern mehr zu publizieren als andere Professoren […].“ (S.54)
Dadurch wird das eigentliche Ziel dieser künstlich inszenierten Wettbewerbe, die Qualität zu steigern, z.B. ein besseres Gesundheits- oder Bildungssystem zu erhalten, aus den Augen verloren. Kernkritikpunkt Binswangers ist, dass der Versuch scheitert, Qualitatives über quantifizierbare Daten zu erfassen. Es werden Daten gesucht, die wettbewerbstechnisch gerankt werden können. Im zitierten Beispiel wäre zum Beispiel das Ziel, die Qualität eines Professors über die Anzahl der veröffentlichten Publikationen zu messen. Dieser künstliche geschaffene Wettbewerb verführt lediglich dazu, viele Publikationen zu veröffentlichen. Inhaltlich wirkt es der Qualität des einzelnen Beitrags entgegen, da versucht wird, Erkenntnisse mittels Salamitaktik auf viele Artikel aufzuteilen. Die Güte eines Professors kann man eben nicht über die Länge seiner Veröffentlichungsliste messen, sondern muss sich die Qualität der veröffentlichten Inhalte anschauen. Diese zu beurteilen ist letztendlich aber nur subjektiv möglich. Derartige subjektive Urteile sind begründbar und müssen begründet werden. Dabei muss jedoch nicht jedes Argument mit Zahlen belegbar sein, um als nachvollziehbar zu gelten.
„Qualität ist grundsätzlich nicht messbar, und das gilt es zu akzeptieren. Es spricht nichts dagegen, Kennzahlen zu definieren und zu ermitteln, aber diese dürfen nicht mit Qualität gleichgesetzt werden. Man kann durchaus die Zahl der Dreifachsprünge bei einer Eiskunstlaufkür messen, aber diese Zahl ist nicht identisch mit ihrer Qualität. Und wenn man versucht, der Qualität mit immer mehr Indikatoren auf die Spur zu kommen und ganze Indikatorensysteme kreiert, dann sieht man schnell einmal vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Und ein immer genaueres Ausmessen von Bäumen ermöglicht einem nicht, die Qualität des Waldes besser zu verstehen“ (S.218f)
Der Installation vieler künstlicher Wettbewerbe folgt jedoch die Installation einer Bürokratie, die dazu neigt, den Wettbewerb auszuoptimieren, das heißt immer komplexer und komplizierter zu machen. Dies erhöht die Ineffizienz, denn das eigentliche Ziel wird immer mehr aus den Augen verloren, da man dem messbaren Ersatzziel „huldigt“, also die im Zitat erwähnte Vermessung der Bäume ausoptimiert, ohne darüber nachzudenken, dass dies nicht dazu führt, die Qualität des Waldes an sich besser zu verstehen.
Ein Abschaffen dieser sinnlosen Wettbewerbe führte zu mehr subjektiven Entscheidungen. Dies würde die echte Übernahme von Verantwortung auf die Person, die entscheidet, implizieren. Denn gerade subjektive Entscheidungen müssen begründet werden. Dies zeigt wiederum, dass eine Person Sache und Entscheidung reflektiert hat. Durch sinnlose Wettbewerbe hingegen wird die Verantwortung zu Kennzahlen abgeschoben, die inhaltlich am Eigentlichen vorbei zielen und mit denen sich inhaltlich niemand intensiv auseinandersetzt und auskennt.
Auch wir Marktforscher stellen häufig (zu recht!) Zahlen ins Zentrum unserer Argumentationen. Bloße Zahlen erklären aber nichts, es sei denn man liefert eine fundierte Interpretation. Letzten Endes ist diese Interpretation eine subjektive. Für die wir Verantwortung übernehmen sollten. Schließlich wollen wir für diese Qualität bezahlt werden und glauben uns gerade darin zu unterscheiden.
Darüber hinaus lassen sich manche Fragen durch keine gemessene Zahl angemessen beantworten. Fürsprache für zahlenlose qualitative Forschung scheint in dem Umfeld, welches Binswanger entwirft, zuweilen schwer vermittelbar. Verantwortliche Beratung schließt jedoch mit ein, dem Kunden die Methodenauswahl auseinanderzusetzen und inhaltlich sinnvoll zu begründen.
Das zentrale Interesse sollte dabei die Beantwortung der Fragen des Kunden sein, nicht das Verkaufen von Methoden, die wohl klingen und mit einem © oder ™ versehen sind, aber an der Fragestellung knapp vorbei zielen. [amazon asin=3451303485&text=www.amazon.de]